Die so genannte digitale Transformation wird immer mehr zum Thema im Leadership-Management. Während die großen DAX-Konzerne und Multinationals mit ihren internen Leadership-Programmen bereits das „digitale Bewusstsein“ ihrer Führungsmannschaft kräftig vorantreiben, befinden sich viele gerade traditionelle und mittelständische Unternehmen immer noch im Dornröschenschlaf – schaut man sich zumindest das Top-Management-Level an.
Paul Miller, CEO der Digital Workplace Group, begründet dieses Phänomen der digitalen Resistenz vieler Vorstände und Aufsichtsräte mit dem „swept to the boardroom“ – also dem Überspülen der Vorstandsetagen mit digitalen Themen, was zu einer permanenten Überforderung führt. Während viele Führungskräfte in mittelständischen Unternehmen sich noch auf dem Wissens-Niveau der 1990er Jahre befinden, führen die digitalen Entwicklungen parallel in der Organisation zu immer neuen Fragen im Umgang mit der Digitalisierung sowie mit der Entwicklung neuer Verhaltensmuster der jungen und älteren Arbeitskräfte. Dies führt über kurz oder lang in jedem Unternehmen zu Veränderungen in der Arbeitsethik: Was bedeutet Arbeit für mich? Wie gehen wir mit den technologischen Entwicklungen um? Was ändert sich in meinem Job? Was sind neue Rahmenbedingungen?
Doch die Antworten seitens der Führungsetagen bleiben nach wie vor aus.
Ein Grund dafür ist, dass die meisten Vorstände und Top-Führungskräfte einer anderen Generation entstammen, in der digitale Themen keine Rolle spielten. Alles, was diese Generation über Digitalisierung weiß, kennt sie lediglich aus Sekundärquellen oder war Teil der beruflichen Weiterqualifizierung. Digitalisierung per se ist aber nichts, womit sie aufgewachsen sind. Insofern agieren Führungskräfte und Vorstände der „alten Schule“ unsicher und inkompetent, weil die Digitalisierung nicht zu ihren „natürlichen“ Kompetenzen zählt. Im Gegensatz dazu verfügen jüngere Führungskräfte, die aus rein digitalen Unternehmen kommen, wie Amazon, eBay oder Airbnb, über natürliche Kompetenzen im Umgang mit diesen Entwicklungen. Die Digitalisierung gehört zu ihrem natürlichen Führungs-Repertoire.
Eine Lösung stellt aus heutiger wissenschaftlicher Sicht im Kompetenzmanagement die so genannte „Digitale Alphabetisierung“ der Leadership-Programme dar. Es geht darum, die Top-Führungskräfte, die alltäglich Entscheidungen im Umgang mit der Digitalisierung treffen, mit den persönlichen Grundkompetenzen auszustatten, die sie in der Lage versetzen, speziell im digitalen Kontext kompetent zu handeln. Bei der digitalen Alphabetisierung geht es nicht um die Vermittlung rein technologischer Skills, wie Programmierung, UXDesign oder Coding . Vielmehr geht es um die Entwicklung personeller Kompetenzen, mit denen die Entscheider in der Lage sind, die Entwicklungen in der digitalen Welt kritisch zu beurteilen und aus sozio-technologischer Sicht heraus zu experimentieren, zu lernen und dann neue Entscheidungsmuster im Unternehmen zu etablieren: digitale Organisationsentwicklung von innen.
Die Frage der praktischen Umsetzung muss im Kontext des Leadership Developments erfolgen. Das smarte Design der Leadership-Programme ist dabei von entscheidender Bedeutung. Nehmen wir das Beispiel eines typischen Leadership-Programms, an dem 150 Führungskräfte teilnehmen. Es ist unrealistisch, davon auszugehen, dass alle 150 Führungskräfte durch ein paar Workshops und Schulungen sich zu digitalen Visionären weiterentwickeln lassen. Die Frage ist also, welcher Teil der Leadership-Gruppe sich zu den Top-Digital-Leaders weiterentwicklen kann – wer also über das Potenzial verfügt, den Sprung in die digitale Realität zu schaffen, um später seine Kompetenz im Unternehmen anzuwenden.
Viele klassische Leadership-Programme setzen nach wie vor auf Weiterbildungen oder Workshops. Dabei setzen diese Programme meist auf die Entwicklung der falschen Kompetenzen. Bei der digitalen Alphabetisierung ist es unwichtig zu wissen, wie ein Blog geschrieben, wie getwittert wird oder wie der Intranet-Auftritt gestaltet werden kann. Es geht nicht um Kompetenzen in der digitalen Kommunikation oder im Digital-Recht. Die vielen technischen Nebelbomben der New-Work-Bewegung und Consulting-Szene vernebeln den Blick auf die eigentlich wichtigen Kompetenzen, um die es geht.
Aus einer strategischen Sicht heraus ist es entscheidend, die Top-Führungskräfte zu selektieren, die über das Potenzial verfügen, in den nächsten zwei bis drei Jahren experimentell den Umgang mit Digitalisierung zu erlernen und diese Erfahrungen weiter in die Organisation hinein zu tragen. Um dies zu ermöglichen, müssen dieser kleinen Gruppe an Führungskräften neue Zugänge zu Ressourcen und Budgets ermöglicht werden, um ihre digitalen Erfolge selbstreflektiert entwickeln zu können. Dabei geht es nicht um den Big Bang, sondern um kleine Schritte in die digitale Welt hinein. Inhaltlich können das Projekte im F&E oder im Sales-Bereich sein, die neu konzipiert und später kommerzialisiert werden. Diese Transformation braucht Zeit und erfordert Geduld und begleitende Reflexion. Der Schlüssel liegt insofern auf dem smarten Design der Digital Leadership, um die Organisation experimentell auf ein neues Niveau der digitalen Evolution zu führen.