Covid-19 hat die Welt, insbesondere die Wirtschaftswelt, in allen ihren Facetten radikal verändert und sorgt vor allem in vielen Organisationen im Bereich Führung und Management für Unsicherheit, Unruhe und Krisenstimmung. Das nennt Klaus Schwab den Post-Kapitalismus.
Warum das wichtig ist?
Der Gründer und Vorstandsvorsitzender des Weltwirtschaftsforums Klaus Schwab, der schon den Begriff der “Vierten industriellen Revolution” prägte, fordert in einem aktuellen Beitrag die Trendwende und Abkehr vom globalen “Kapitalismus”, hin zu einem fortschrittlichen und sozialen System. Ausgehend von der Covid-19 Krise, die alle Länder und Bereiche der Welt nachhaltig verändert, fordert er den “Great Reset” – also den großen Neustart von Wirtschaft, Politik aber auch Gesellschaft. Übersetzt bedeutet das nichts weniger, als dass das bestehende Wirtschaftssystem in den Grundzügen der Gewinnverteilung und -erwirtschaftung verändert werden soll.
Hintergrund:
Die Wirtschafts-Utopie vom Ende des Kapitalismus ist bei weitem nichts Neues. Unter dem Begriff “Post Capitalism Society” verkündet bereits im Jahr 1993 Peter Drucker, einbekannter Managementvordenker, in seinem Buch das Ende des Industriezeitalters und den den Beginn der Post-kapitalistischen Gesellschaft. In aller Kürze geht es um den Wandel der grundlegenden Management-Philosophie, hauptsächlich der Auflösung des klassischen Verhältnisses zwischen Führung und “Untergebenen”. Der Gedanke entsteht In einer Zeit, als sich Wirtschaftsstrukturen radikal änderten. Es war der Übergang von einem Produktion physischer Waren ausgerichteten Zeitalter in ein Zeitalter der Information und Digitalisierung. Drucker erkennt frühzeitig die Notwendigkeit, dass hohe Selbstbestimmung bei Mitarbeitern dazu führen kann, dass Unternehmen erfolgreicher agieren. Informationstechnologie kann dazu führen, dass bestimmte intellektuelle Arbeiten, die im Informationszeitalter wichtiger sind als physischer Arbeit, produktiver umgesetzt werden können. Die Wege um dort hinzukommen sind die grundlegenden Führungsprinzipien zu hinterfragen, z.B. flache Hierarchien zu entwickeln oder dezentrale Organisationsformen zu formen, die nicht auf pyramidalen Prinzipien aufgebaut sind.
Was passiert heute:
Ungefähr vor zehn Jahren erlebte das Konzept der post-kapitalistischen Gesellschaft aufgrund der Digitalisierung ein Revival. Ausgehend davon, dass soziale Netzwerke und digitale Vernetzung dazu führen konnten, dass ganze gesellschaftliche Systeme zerstört werden (vgl- Ägypten oder Syrien), wurde immer mehr die Forderung erhoben, der “Arbeiterklasse” mehr Einfluss und Macht in Organisationen zu geben, insbesondere durch Hilfe digitaler Technologien. Paul Manson sprach 2015 im Guardian in ein Essay davon, dass die linksliberale Utopie des Post-Kapitalismus durch “externe Schocks” beschleunigt wird und dass dadurch ein neues ökonomisches Menschenbild geprägt wird. Der Postkapitalismus ist durch drei große Veränderungen geprägt:
- Der Bedarf an Arbeit wird geringer: Da Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verwischen, wird das Verhältnis zwischen Arbeit und Lohn gelockert. Die heutige neue Form der Automatisierung (KI, Big Data) wird den Arbeitsbedarf enorm verringern. Dies wird in einem post-kapitalistischen System verbunden sein mit einem menschenwürdigen Leben. Das bedeutet auch neue Sozialsysteme zu etablieren, wie das bedingungslose Einkommen
- Viele Informationen werden die Fähigkeit des Marktes beeinflussen, Preise korrekt zu bilden. Das liegt daran, dass eigentlich die klassischen kapitalistischen Märkte auf Knappheit von Ressourcen beruhen, während Informationen im Überfluss vorhanden sind. Die Reaktion des klassischen Systems besteht darin, riesige Technologieunternehmen auszuprägen, sogenannte Monopole, um den Weiterbestand zu sichern. Diese Geschäftsmodelle klassischer kapitalistischer Unternehmen basieren auf der Erfassung und Privatisierung gesellschaftlich produzierter Informationen und Ideen. Dies steht im Widerspruch zum Bedürfnis der Menschen, Ideen frei nutzen zu wollen.
- Es gibt einen spontanen Anstieg an kollaborativer Produktion. Waren, Dienstleistung und Organisationen tauchen auf, die nicht mehr dem Diktat des Marktes und der Manager-Hierarchie entsprechen. Das größte Informationsprodukt der Welt, Wikipedia, wird beispielsweise von Freiwilligen kostenlos erstellt, wodurch Lexika abgeschafft und der Werbeindustrie Milliarden pro Jahr entzogen werden.
Ja, aber:
Noch gibt es eine Koexistenz zwischen Postkapitalismus und Neoliberalismus. Diese Symbiose verwandelt aber nach und nach das bestehende Wirtschaftssystem, das auf Gewinne und Wachstum programmiert ist, in ein Dilemma. Immer mehr katastrophale Misserfolge werden produziert, während immer mehr traditionelle Muster des industriellen Kapitalismus durchbrochen werden.
Und das bedeutet?
Das bedeutet, dass Klaus Schwab mit seiner Forderung nach mehr Post-Kapitalismus sowie dem Neustart aufgrund der Covid-19 Krise zwar im Grunde genommen den recht hat – zumindest in Bezug auf die Notwendigkeit der Veränderungen. Dass aber Covid-19 der Auslöser für diesen “Great Restart” ist, ist fraglich. Vielmehr begann der “postkapitalistische Neustart” bereits vor über 30 Jahren, in den Anfängen des Informationszeitalters. Immer mehr sehen wir aber kleine “Zersetzungmuster” im klassischen industriellen Wirtschaftssystem. Die zunehmende Digitalisierungswelle in der Folge von Covid-19 ist also nur eine punktuelle Verstärkung längst begonnener Veränderungen. Dann zeigt sich zumindest, welche Potentiale die digitale oder informationelle Transformation in der Wirtschaftswelt tatsächlich hat und was passieren wird, wenn man das System der Industrialisierung überwindet und ein ein Zeitalter der Digitalisierung mit allen Konsequenzen übergeht.