DIGITAL TRANSFORMATION UND DER GREAT RESET: WIE REALISTISCH IST KLAUS SCHWAB'S VISION?

Die Covid-19-Pandemie hat die Welt und insbesondere die Wirtschaftswelt in allen Bereichen stark verändert und sorgt bei vielen Führungskräften für Unsicherheit und Krisenstimmung. Klaus Schwab, Gründer und Vorstandsvorsitzender des Weltwirtschaftsforums, fordert in diesem Zusammenhang eine Abkehr vom globalen Kapitalismus hin zu einem fortschrittlichen und sozialen System, den sogenannten "Great Reset".

Die Vision des Klaus Schwab

Der Gründer und Vorstandsvorsitzende des Weltwirtschaftsforums, Klaus Schwab, der bereits den Kunstbegriff der “Vierten industriellen Revolution” prägte, fordert nun in einem Beitrag die “Trendwende und Abkehr vom globalen Kapitalismus”, hin zu einem fortschrittlichen und sozialen System.

Specifically, we will need to reconsider our collective commitment to “capitalism” as we have known it. Obviously, we should not do away with the basic engines of growth. We owe most of the social progress of the past to entrepreneurship and to the capacity to create wealth by taking risks and pursuing innovative new business models. We need markets to allocate resources and the production of goods and services efficiently, particularly when it comes to confronting problems like climate change.

Ausgehend von der Covid-19 Krise, die alle Länder und Bereiche der Welt nachhaltig verändert, fordert er den “Great Reset” – also den großen Neustart von Wirtschaft, Politik aber auch Gesellschaft. Übersetzt bedeutet das nichts weniger, als dass das bestehende Wirtschaftssystem in den Grundzügen der Gewinnverteilung und -erwirtschaftung verändert werden soll.

The Great Reset should seek to lend a voice to those who have been left behind, so that everyone who is willing to “co-shape” the future can do so. The reset that we need is not a revolution or a shift to some new ideology. Rather, it should be seen as a pragmatic step toward a more resilient, cohesive, and sustainable world.

Post-Kapitalismus ist keine neue Idee

So neu, wie Schwab’s Idee klingt, ist sie nicht. Denn schon frühere Generationen forderten die Abkehr vom rein gewinnorientierten kapitalistischen System. So verkündete schon 1993 Peter Drucker in seinem Buch das Ende des Industriezeitalters und den Beginn einer post-kapitalistischen Gesellschaft. Unter dem Begriff “Post Capitalism Society” versteht er die Auflösung des klassischen Verhältnisses zwischen Führung und “Untergebenen”.

Der Gedanke entsteht In einer Zeit, als sich Wirtschaftsstrukturen radikal änderten. Es war der Übergang von einem Produktionssystem, das auf physische Waren ausgerichtet war hin zu einem System, das auf Daten und Informationen gründet. Drucker erkennt die Notwendigkeit, dass hohe Selbstbestimmung bei Mitarbeitern dazu führen kann, dass Unternehmen erfolgreicher agieren. Informationstechnologie kann dazu führen, dass bestimmte intellektuelle Arbeiten, die im Informationszeitalter wichtiger sind, als physische Arbeit, produktiver umgesetzt werden können. Die Wege um dort hinzukommen sind die grundlegenden Führungsprinzipien zu hinterfragen, z.B. flache Hierarchien zu entwickeln oder dezentrale Organisationsformen zu formen, die nicht auf pyramidalen Prinzipien aufgebaut sind.

Linktipp: The Post-Capitalist Executive: An Interview with Peter F. Drucker (1993)

Wie die Digitalisierung die Idee des Post-Kapitalismus prägt

Vor rund zehn Jahren erlebte das Konzept des Post-Kapitalismus durch die Digitalisierung ein Revival. Es wurde argumentiert, dass soziale Netzwerke und digitale Vernetzung dazu beitragen können, gesellschaftliche Systeme zu zerstören, weshalb es wichtiger denn je sei, der "Arbeiterklasse" mehr Einfluss und Macht in Organisationen zu geben. Paul Manson sprach 2015 im Guardian in ein Essay davon, dass die linksliberale Utopie des Post-Kapitalismus durch “externe Schocks” beschleunigt wird und dass dadurch ein neues ökonomisches Menschenbild geprägt wird.

Postcapitalism is possible because of three major changes information technology has brought about in the past 25 years.

Er spricht von den drei großen Veränderungen,

  1. dass der Bedarf an Arbeit geringer wird: Die heutige neue Form der Automatisierung (KI, Big Data) wird den Arbeitsbedarf enorm verringern. Dies wird in einem post-kapitalistischen System verbunden sein mit einem menschenwürdigen Leben. Das bedeutet auch neue Sozialsysteme zu etablieren, wie das bedingungslose Einkommen

  2. dass viele Informationen die Fähigkeit des Marktes beeinflussen: Die Reaktion des klassischen Systems besteht darin, riesige Technologieunternehmen auszuprägen, sogenannte Monopole, um den Weiterbestand zu sichern. Diese Geschäftsmodelle klassischer kapitalistischer Unternehmen basieren auf der Erfassung und Privatisierung gesellschaftlich produzierter Informationen und Ideen. Dies steht im Widerspruch zum Bedürfnis der Menschen, Ideen frei nutzen zu wollen.

  3. Preise zu bilden und dass es einen spontanen Anstieg an kollaborativer Produktion gibt: Waren, Dienstleistung und Organisationen tauchen auf, die nicht mehr dem Diktat des Marktes und der Manager-Hierarchie entsprechen. Das größte Informationsprodukt der Welt, Wikipedia, wird beispielsweise von Freiwilligen kostenlos erstellt, wodurch Lexika abgeschafft und der Werbeindustrie Milliarden pro Jahr entzogen werden.

Linktipp: The end of capitalism has begun, von Paul Manson (Economist, 17. Juli 2015)

Wann kommt der Great Reset?

Aktuell klingt dies alles nach Utpie, bzw. Dystopie - je nach Perspektive. Noch gibt es eine Koexistenz zwischen Postkapitalismus und Neoliberalismus. Diese Symbiose führt jedoch, wenn man den Argumenten von Manson Glauben schenkt, in ein Dilemma. Immer mehr katastrophale Misserfolge werden produziert, während immer mehr traditionelle Muster des industriellen Kapitalismus durchbrochen werden. Zwar könnte Klaus Schwab mit seiner Forderung nach einem Neustart recht haben. Dass aber Covid-19 der Auslöser für diesen “Great Restart” ist, ist fraglich.

Was wir aber sehen, sind “Zersetzungmuster” im klassischen industriellen Wirtschaftssystem - die sogenannten Disruptionen sind bei Lichte betrachtet nichts weiter als kleine Explosionen, die sich auf das bestehende Wirtschaftssystem auswirken. Die Digitalisierungswelle ist nur eine punktuelle Verstärkung längst begonnener Veränderungen. Fazit: Der Begriff "Post-Kapitalismus" und die Vision des "Great Reset" stellen eine Herausforderung für das bestehende Wirtschaftssystem dar. Es bleibt abzuwarten, inwieweit diese Vision in der Praxis umgesetzt werden kann und ob sie tatsächlich zu einer besseren und gerechteren Gesellschaft führt.

Prof. Dr. Kai Reinhardt

Professor für Betriebswirtschaft, Personal und Organisation

https://www.kaireinhardt.de
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