BIENENSTOCK-THEORIE BEI NETZWERKTHEORETIKERN EN VOGUE

Es gibt ja immer wieder diese Modebegriffe, die den echten Verkäufer und Consultant auszeichnen. Einer dieser Kollegen ist Arjun Sethi, ein Autor bei Blog hackernoon.com. Er greift mal wieder das Thema Schwarmintelligenz auf und dreht dabei gleich das ganz große Rad. In seinem durchaus gut vorbereiteten Artikel zieht er einen Vergleich zwischen der Produktivität privater und kommerziell orientierter sozialer Netzwerke. Der Gründer von SocialCapital prägt auch gleich einmal dafür einen neuen Term: Er spricht nicht mehr vom „Network“, sondern wechselt zum „Bienenstock„-Sprech. P:S: Haben wir die Diskussion mit dem Bienenschwarm nicht alles schonmal vor fünf Jahren durch und wurde das nicht schon zigmal widerlegt und für gescheitert erklärt?… das nur am Rande.

Weiter im Text: Die anscheinend aufgeklärte Meinung, dass Facebook & Co. fürchterlich unproduktiv sind, und im Vergleich zu Business-Netzwerken so gar nicht produktiv sind, sollten wir uns noch einmal kritisch anschauen. Dass der Gründer von SocialCapital in seinem eigenen Geschäftssinn diese Aussage postuliert, ist legitim. Sein Ziel ist, seine Social Media Leistungen an Unternehmen zu verkaufen. Und da hilft es natürlich erst einmal, kritisch den Nutzen sozialer Netzwerke auszuleuchten und den Mid-60er CEOs dieser Welt gleich noch eine gesunde Dosis Angst und Zweifel mitzugeben. Dabei hilft bekanntlich (wie jeder Social Media Consultant weiß) immer der absolute Größenvergleich: 80 Millionen Foto-Posts auf Instagram pro Tag klingt super. Und dass die Engagement Rate hier bei mageren 1.2% liegt, ist doch wahnsinnig unproduktiv, oder? Und dass auf Facebook mein persönlicher Score um 21% pro Jahr zurückgeht, ist doch zumindest ein Stirnrunzeln wert? Fazit: Absolute Engagement und Sharing-Zahlen beeindrucken. Sie sagen aber rein gar nichts über einen Produktivvergleich  aus. Deshalb hinkt dieser direkte Vergleich und der Imperativ: „Today it’s no longer enough to “connect the world.” ist so nicht ganz richtig.

An der Aussage, dass Informationsteilung im kommerziellen Sinn immer produktiv sein muss, besteht gar kein Zweifel. Genau dies hat Peter Drucker bereits vor 28 Jahren in seinem Artikel „The Coming of the New Organization“ postuliert:

„So the organization that will be developed will go beyond the matrix and may indeed be quite different from it. One thing is clear, though: it will require greater self-discipline and even greater emphasis on individual responsibility for relationships and for communications.“ (Drucker, 1988)

Also, nichts Neues. Der Denkfehler steckt im Vergleich zwischen public social networks und neuen Formen der Vernetzung im kommerziellen Sinne. Die Effizienz sozialer Netzwerke kann nicht allein auf Grundlage von einzelnen Effizienz-Koeffizienten, zum Beispiel dem Teilen von Information, bewertet werden. Im Gegensatz zu kommerziellen Social Networks verfolgen Public Social Networks (PSN) per se aus Nutzersicht keinen kommerziellen Zweck, sondern sind rein auf das Generieren privaten sozialen Kapitals angelegt. Der Begriff des sozialen privaten Kapitals geht auf Ronald Burt von der University of Chicago zurück. der die Netzwerkstrukturen sozialen Kapitals eingehend untersuchte. (hier gibts zum Beispiel einen gutes Paper dazu). Soziales Kapital ist also immer mit intensiver Vernetzung verbunden:

„Certain people, or certain groups of people, do better in the sense of receiving higher returns of their efforts. Sme enjoy higher incomes. Some more quickly become prominent. Some lead more important projects. […]  Social capital is the contextual complement to the human capital. The social capital metaphor is that the people who do better are somehow better connected.“ (Burt, 2000, S. 3)

Im Gegensatz zu kommerziellen, Netzwerken, die auf Gewinnmaximierung angelegt sind, und zu Beispiel eine Entwickler- oder Forscher-Community effizienter als klassische Aufbauorganisationen und starre Prozesse vernetzen, besteht kein Zweifel. Dies ist zumindest der Nukleus der aktuellen Organisation 4.0 Diskussion.

Die Bewertung eines sozialen Netzwerks darf nicht aus rein kommerzieller Perspektive stattfinden, sondern wir sollten die Interessen der Akteure berücksichtigen. Public Social Networks haben immer auch einen Betreiber, schon vergessen? In der Realität heißen diese Xing AG, Facebook Corp. oder Linkedin Ltd usw. Diese Unternehmen verfolgen nur einen Zweck, ihren Selbstzweck,sich zu einer Supermacht der Werbeindustrie zu entwickeln. Diese Interessenlage hat grundlegend erst einmal nichts mit den Usern eines sozialen Netzwerks zu tun, sondern reflektiert rein die Interessenlage des Managements und der Investoren. Inhaltliche Wertschöpfung spielt aus Sicht des Managements keine oder nur eine untergeordnete Rolle…. nicht der Bienenschwarm steht also im Vordergrund, sondern das Hornissen-Nest 😉 Im Gegensatz wollen wir, also die User, wenn wir schreiben, teilen, liken, sharen, posten usw. irgendwie auch einen Hauch Anerkennung einheimsen, also soziales Kapital verdienen.

Die Interessenlagen der Akteure sind also ein wichtiges Merkmal eines sozialen Netzwerk, das in die Diskussion rund um die Produktivität einfließen muss. Was heißt das jetzt für die Praxis? Richtig wäre, in Zukunft darüber zu diskutieren, wie innerhalb geschäftlicher sozialer Netzwerke die Business-Nutzer (User als Entwickler, Controller, Projektmanager…) in den Genuss kommen, ihr persönliches soziales Kapital dadurch zu verbessern, indem sie Informationen teilen und sich mit anderen Kollegen vernetzen. Im Fokus steht die Diskussion, wie die Interessenlagen hinter dem persönlichen sozialen Kapital mit der Interessenlage des kommerziellen Kapitals zusammengeführt werden kann. Eine Lösung kann sein, über die Regeln im Konzern und Unternehmen nachzudenken, wie dies passieren kann. Ein Ansatz ist zum Beispiel die Entwicklung einer völlig neuen Art von Incentivierungs-System. Wenn das Engagement der User (Wissensteilung, Informations-Sharing, Kommentierung) anders als monetär (Zielerreichung, Bonussystem) belohnt wird, können die Interessenlagen harmonisiert werden. Dies setzt jedoch ein radikales Umdenken im HR und der Organisationsentwicklung voraus. Soziale Netzwerke sollten als Nährboden von Innovation und Fortentwicklung anerkannt werden.  Viele Unternehmen haben dies bereits erkannt, die Umsetzung ist aber heute vorwiegend im IT-Bereich angesiedelt. Das Thema Sozialkapital gehört heute auf die Agenda der neuen HR-Manager, damit die honigträchtigen Bienen nicht alle davonfliegen…..

Quelle: The Hive is the New Network

Photo by Michael Cheng/ CC BY

Prof. Dr. Kai Reinhardt

Professor für Betriebswirtschaft, Personal und Organisation

https://www.kaireinhardt.de
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