FACEBOOK ALS BUSINESS ÖKOSYSTEM

Eine interessante Entwicklung bahnt sich an. Facebook plant, mit Facebook at Work ein neues Produkt auf dem Markt um kollaborative Unternehmenssoftware und vernetzte Enterprise-Lösungen zu etablieren. Immerhin geht es laut Allimeter um einen Markt, der aktuell auf ca. 300 Milliarden USD anwachsen wird. Mit dieser Produkt-Strategie greift Facebook nicht nur direkt Konkurrenten wie Linkedin oder Google an. Facebook nutzt vor allem seine Popularität im privaten Bereich und transponiert das Erfolgsmodell in den Geschäftsalltag.

Was von vielen Kommentatoren als interessanter, marktstrategischer Schachzug von Facebook im Business-Segment der Social Networks gewertet wird, geht jedoch weit über die reine Marktposition hinaus.

Aus Angebotssicht etabliert Facebook ein völlig neues Produkt bzw. eine ganze Produkt-Suite, die im Business Segment um Enterprise 2.0 Software und Corporate Network Tools konkurriert. Aus der Wettbewerbsposition von Facebook heraus ein durchaus rentables Geschäfts, das neue Möglichkeiten für Geschäft und Einnahmekanäle generiert. Aus Sicht der Nachfrager wie z.B. Unternehmensplanung, IT und Management, kommt zugleich ein neuer Player ins Spiel, der den Enterprise 2.0-Markt nachhaltig verändern kann. Vor allem Unternehmensplaner, IT-Architekten und CDOs sollten ein Auge darauf werfen, wie und in welchem Umfang die Lösung von Facebook sich in die bestehende Enterprise 2.0 Landschaft einordnet und auf welcher Plattform-Basis die Zukunft vernetzten Organisation gestaltet wird.

Mit Facebook at Work wird damit nicht nur ein neues Geschäftsfeld etabliert, sondern DAS Erfolgsmodell für P2P-Vernetzung aus dem Segment der Private Social Networks in das Corporate-Umfeld übertragen. Warum also sollten Unternehmen bei der Auswahl und Suche nach einer geeigneten geschäftlichen Software-Lösungen und Plattformen nicht gleich das Erfolgsprodukt in Erwägung ziehen? Grund genug, sich die Gründe  genauer anzuschauen, die bei der Entscheidung für oder gegen Facebook als Corporate-Networking Plattform eine Rolle spielen können:

HOHE NUTZERAKZEPTANZ SORGT FÜR SCHNELLE SKALENEFFEKTE

Wie Mediabistro berichtet, werden bis 2016 alle großen Organisationen Facebok-artige Tools im Einsatz haben – immerhin ein Gesamtmarkt von knapp 4-5 Mrd. Das sind erstaunliche Schätzungen, bedenkt man die bis vor kurzem recht konservative Sicht vieler Unternehmen bzgl. der Einführung vernetzter Lösungen. Bei aller Euphorie der Software-Industrie hängt der Erfolg der Implementierung meist nicht von den Features und Funktionen ab. Viel stärker wirken “weiche” Faktoren, wie z.B. die Akzeptanz der Software bei Mitarbeitern , die Überzeugungskraft des Managements, die Qualität der Trainings oder auch die Einbindung in die Arbeitsumgebung.



Weil „weiche“ Faktoren oftmals wenig beachtet werden, erreichen nur 20% aller Enterprise 2.0-Projekte ihr Ziel. 80% aller Projekte werden bis 2015 ihre Ziele nicht erreichen. Facebook At Work kann als neues Ökosystem im Gegensatz zu der Implementierung einzelner, proprietären Lösungen dagegen schnell Skaleneffekte erzielen. Aufgrund der hohen Akzeptanz von Facebook im privaten Bereich sind die Hürden bei der Nutzung der Software gering. Bereits 1,3 Milliarden Menschen auf der Welt nutzen bereits die Tools. Damit besitzt jeder 5.5te Mensch auf der Erde ein Facebook-Account.

NEUES DIGITALES ÖKOSYSTEM SETZT AUF API-STRATEGIE

Mit dem Sprung in die Enterprise-Welt eröffnen sich auch Chancen für neue Revenue-Formen. Wahrscheinlich ist, dass Facebook ein neues Developer-Kit publiziert, mit dem Entwicklern der Weg eröffnet wird, Apps und APIs im Unternehmensumfeld zu entwickeln bzw. bestehende Tools in das Ökosystem einzubinden. Bei der Menge verfügbarer Software-Lösungen, ERP-Systemen, Projektplanungs-Tools, Terminplanungen, Abrechnungs-Software etc. wäre es ein logischer Schritt, mit einer offenen API-Strategie neue Einnahmequellen zu etablieren und Facebook als eine Art „Hub“ zu etablieren, in dem Angebot und Nachfrage sich treffen. Je stärker das Ökosystem sich öffnet, desto höher sind Wachstumsraten und Verbreitung. Hat ein Unternehmen sich für Facebook entscheiden, dann ist der Weg frei für die Integration weiterer Systeme. Dies erhöht Schritt für Schritt die “stickyness” für Unternehmen, Facebook als zentrales Tool zur Vernetzung zu nutzen. Je nach Developer-Programm wäre es denkbar, dass Facebook sich auch für Konkurrenten öffnet, und Content bzw. dezidierte Daten-Streams aus Netzwerken wie salesforce.com oder Microsoft Sharepoint zulässt. Dies würde dem Hub-Charakter entsprechen und die Kommunikation zwischen den Tools erleichtern.

GEWOHNTES FACEBOOK-BEDIENERLEBNIS BAUT HÜRDEN FÜR AKZEPTANZ AB

Für der Etablierung von Facebook als Social Media-Tool am Arbeitsplatz spricht die hohe Akzeptanz seiner Bedienoberfläche und die robusten Tools, die Facebook seit dem Start entwickelt und immer weiter den Gewohnheiten der Nutzer angepasst hat. Vor allem ist die Suche (Social Graph) besser als alles, was man normalerweise im Umfeld von Enterprise 2.0 Software findet. Es spricht also nichts dagegen, mit einigen kleineren Verbesserungen an der Benutzeroberfläche oder ein paar geschäftsspezifischen Funktionen Facebook an die Gewohnheiten der Geschäftswelt anzupassen. Umso mehr spricht dafür, dass viele Anbieter heute bereits Facebook als Vorbild für die Entwicklung von Benutzeroberflächen und Funktionalitäten ansehen. Ebenfalls die Nutzerverwaltung von Facebook und das Listenmanagement kann mit einem normalen Active Directory mithalten und erlaubt zudem den Aufbau spezieller Nutzergruppen zur Wissenskommunikation. Die API und Entwicklertools machen es extrem einfach, alle Arten von Customization und spezifischer firmeninterner Anpassung zu betreiben, damit das Nutzerverhältnis im Einklang zur Corporate-Sprache steht. Die Analyse-Tools und die Content Recommendation Engine sorgen dafür, dass sich die Zusammenarbeit und die Inhaltsübertragung stark vereinfacht und Effizienzeffekte in der Organisation erzielt werden. Facebook kann also heute bereits bereits ausgehen, dass durch ein entsprechend großes Entwicklernetzwerk  und Partnerschaften der Einfluss und Footprint in der Enterprise 2.0 Welt hoch sein werden. Facebook wird deutlich und schnell an Marktmacht gewinnen und die angestammten Wettbewerber wie Jive, Yammer oder Chatter in Bedrängnis führen.

WENIGER FRAGMENTIERUNG IN DER SOZIALEN VERNETZUNG

Denkt man dieses Szenario weiter wird schnell deutlich, dass durch Facebook ein Gegenspieler auf den Markt sein wird, der als USP seine starke API ausspielen kann. Mit Facebook als Hub kann die interne Unternehmenskommunikation “seamless” mit wenigen Schnittstellen zu anderen Fremdsystemen aufgebaut werden. Betrachtet man heute das Sammelsurium an Lösungen und Tools, mit denen intern Informationen ausgetauscht werden, dann wird schnell klar, welche hohe Kompetenz von den Mitarbeitern im Umgang mit Technologie gefordert wird. Hunderte Emails zum formellen Austausch, Chat-Programme für Austausch, webbasiertes Intranet für die Pflege und den Bezug von Firmeninformationen, Helpdesk-Lösungen wie Zendesk & Co. für die Kundenkommunikation, Self-Service-Portale im HR, SAP, Projektplanung a la basecamp und Microsoft Project, Kollaboration für Entwickler, Inventur, Faktura, Wissensmanagement, Cross Media Publishing etc. Für alle denkbaren Anwendungen existieren singuläre Lösungen, deren Integration und Schnittstellen-Management meist einen hohen Aufwand verursachen. Die Integration der wichtigsten Kommunikations-Werkzeuge in einen zentralen Hub würde Teile des Aufwands reduzieren.

In der folgenden Tabelle habe ich einige ausgewählte Capabilites und Features von Facebook dem Einsatz in der Business Communication gegenübergestellt:

Mit Facebook At Work erhalten Unternehmen die Möglichkeit, on-demand eigene kollaborative Umgebungen aufzusetzen, mit denen die Mitarbeiter die Facebook-Usability nutzen können. Die Hürde der Antizipation der Facebook-ähnlichen Umgebung sollte aufgrund der immensen Verbreitung praktisch nicht vorhanden sein. Dass das private und geschäftliche Konto voneinander getrennt sind, bestätigt ein interner Mitarbeiter auf einem Techcrunch-Artikel so:

The new enterprise collaboration tool will look a lot like your personal Facebook page with a News Feed, Messenger and Groups, but it would be completely separate from your personal Facebook, so there would be no danger whatsoever that the two would ever bleed into one another. That means, no work content would ever appear in your personal feed and no personal content would ever appear in your work feed, a level of privacy that would be absolutely essential for all parties to trust it.

Warum vielleicht doch nicht?

Wenn alles so positiv erscheint, warum gibt es doch eine Chance, dass Facebook in der Geschäftswelt langfristig trotzdem erfolglos bleibt? Die Antwort liegt auf der Hand wenn man sich fragt, wer sein persönliches Facebook Konto mit dem Geschäftsprofil vernetzen will – abgesehen von egozentrischen Jungmanagern? Die Vernetzung der Privatprofile mit dem Geschäftsprofil stellt eine echte Herausforderung für den Datenschutz und das Compliance-Management dar. Es wird schwierig sein, beide Profile vollkommen voneinander zu trennen, da beide Profile die gleiche Person referenzieren und Publikationen dieser Person auch immer unter den Compliance-Aspekt fallen könnten.

Ein zweiter Punkt ist, dass Facebook quasi keinerlei Geschichte im Marktsegment um Corporate Software vorweisen kann. Anders als Linkedin, deren Geschäftsmodell auf der Vernetzung der Geschäftswelt aufbaut, ist Facebook in diesem Feld noch Meilen von einer echten Reputation entfernt. Auch wenn Facebook eine große Sammlung guter Tools und kollaborativer Fähigkeiten besitzt müsste das bestehende Portfolio noch wesentlich erweitert werden, um den Anforderungen der Geschäftswelt zu entsrechen. Es bleibt also abzuwarten, wie sich dies entwickelt.

Nicht abwarten aber sollten Verantwortliche, Facebook bei  de Entwicklung ihrer digitalen Strategie ernsthaft zu berücksichtigen und nicht nur als reines privates Netzwerk weiter zu bewerten.

Prof. Dr. Kai Reinhardt

Professor für Betriebswirtschaft, Personal und Organisation

https://www.kaireinhardt.de
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